Atmen


Der folgende Text entstand, als ich eine Woche auf Korfu verbrachte und im kraftvoll gehaltenen Raum und unter Anleitung von Karin Nikbakht mit dem verbundenen Atem experimentierte.
Weil mich die Tiefe und Intensität dieser Erfahrung so beeindruckte und ich so tiefe Dankbarkeit dafür fühle, wollte ich einen Teil davon gerne festhalten und teilen:
 
 
 
Ich atme tief und kraftvoll. Und ich spüre, da geht noch mehr. Ich fühle Langeweile. Beschwerlichkeit. Frage mich, wieso es heute so anstrengend ist. Atme weiter ein und aus. Bis zur gefühlten Grenze. Stelle mir die Frage, wie ich so jemals in einen Prozess kommen soll, wenn ich nicht wirklich kraftvoll atmen kann. Der Druck in meinem Kopf wird unangenehm und deswegen drücke ich mit meinen Händen von Außen dagegen.
Ich fühle, ich brauche Unterstützung.
Keine zehn Atemzüge später spüre ich, wie Karins kräftige, liebevolle Hände sich auf meine legen und den Druck auf meine Stirn verstärken.
Ich bin wieder Mal beeindruckt, wie klar sie empfängt, was es wo gerade braucht.
Gleichzeitig fühle ich neuen Ansporn. Will die Unterstützung wirklich nützen. Ich atme kräftiger. Gehe wieder an die Grenze. Gebe mir wirklich Mühe. Gebe alles, um in meinen Prozess zu kommen. 
„Leg' Kraft hinein“, höre ich Karin sagen. Vertraute Worte, die in dieser Woche oft durch die Pagode klangen.
Ich vertraue ihr und ein Teil von mir will sie auch nicht enttäuschen. Also lege ich mehr Kraft hinein, atme stärker. Und stärker. In die Grenze hinein.
Einfach weiter. Kräftig weiter atmen“, erinnert mich meine innere Stimme. Ich will kurz ausweichen, weggehen, die Anstrengung wieder sein lassen. Doch ein anderer Teil erinnert sich: "Der Widerstand ist schon der Prozess" und holt mich wieder hierher zurück. Ins Atmen. Ins Spüren. Ins Jetzt. Und plötzlich öffnet sich etwas. Das Atmen fühlt sich noch ein bisschen anstrengender an. Kurz wird es zu einem Hecheln. Und gleichzeitig spüre ich jetzt die Tür vor mir. Weiß jetzt, dass es Sinn macht, meine Kraft hineinzulegen. Für mich und mein Leben. Für meine Befreiung. Für meine zukünftigen Kinder.
Ich atme in voller Kraft in das Unangenehme hinein. Wieder und wieder. In den Schmerz, der aufkommt. In die Traurigkeit. Mein Körper spannt sich an. Geräusche kommen unkontrolliert aus meinem Mund. Tränen fließen. Und ich spüre: Das alles ist Ausdruck von Energie, die frei werden will. Die irgendwo steckte, in Altem. In meinem Körper und tief in meinen Zellen. Ich atme weiter, um sie zu befreien. Lege mehr Kraft hinein. Und noch mehr. Es ist anstrengend, aber ich fühle den Sinn. Fühle meine eigene Stärke. Und mache weiter. Und plötzlich wird es leichter. Als würde ich nicht mehr kämpfen, sondern würde gezogen. Und auf einmal bin ich durch.
Freude und Kraft und Machbarkeit und Selbstbestimmung durchströmen mich. Ein riesengroßes „Ja!“ breitet sich in all meinen Zellen aus. Und auf einmal fließt mein Atem tiefer als vorher und gleichzeitig ist es, als würde er von selbst in mich hinein strömen. Das Universum beatmet mich. Und ich lasse mich fallen.
Ich spüre: Was hier gerade passierte, ist groß. Und tief.
Ich genieße das Gefühl der Leichtigkeit. Das Fallenlassen. Die Hingabe an das Leben. Und gleichzeitig zu spüren, wie mein Atem kraftvoll in das Leben fließt. Wie ich mein Sein in die Welt hinaus sende, in einem kraftvollen „Hier bin ich.“ Mein Atem fließt kraftvoll weiter.
In meinem Kopf taucht der Gedanke auf: „Gut, wir hatten einen Prozess, jetzt können wir uns die restliche Zeit wieder entspannen.“
Ich hole mich wieder hierher, in die Gegenwart, und atme intensiv weiter. Und spüre, wie es in meiner Kehle enger wird. Wie es anstrengender wird, zu atmen. Wie ein neues Thema kommt. Und ich atme kraftvoll weiter. Motiviert von meiner Erfahrung, dem allen gewachsen zu sein, gehe ich freudvoll ins Unbequeme hinein und mache mich bereit für die nächste Welle.
Ich weiß, ich kann da bleiben. Ich kann weiter atmen und mich mit allem halten, was kommen mag. Das habe ich in dieser Woche gelernt.
Auch, wenn ich ins Straucheln komme, mal weinen oder schreien muss, ich kann weitergehen. Schritt für Schritt. Atemzug für Atemzug.

 

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